„Ein Geschenk, das Leben rettet“
Freude in einem zerrissenen Land – Hamelner bringen modernen Rettungswagen nach Irpin

IRPIN/HAMELN. „Irpin hat einen Rettungswagen“, schreibt Bürgermeister Vladimir Karplyuk auf der Internet-Seite der Stadtverwaltung, so, als könne er sein Glück kaum fassen. Und seine für soziale Hilfen verantwortliche Stellvertreterin Natalia Semko möchte den Interhelp-Vorsitzenden Ulrich Behmann am liebsten gar nicht mehr aus ihrer herzlichen Umarmung entlassen. Das gesamte Personal der Poliklinik steht auf der Treppe, klatscht in die Hände und schaut zu. Das kleine Krankenhaus hat seinen Betrieb vorübergehend eingestellt, zwei Stunden lang finden keine Behandlungen statt. Die feierliche Übergabe des unter anderem mit EKG, Wiederbelebungs- und Beatmungsgeräten, Absaugpumpen, Kinder- und Notgeburten-Set ausgestatteten Mercedes Sprinter wird später stolz der ganzen Nation gezeigt – TV-Teams des Nationalen Ukrainischen Fernsehens, des Regionalsenders ITV und mehrerer Zeitungen sind gekommen, um zu berichten. Interhelp-Schirmherr Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe ist ein gefragter Interview-Partner. Der 58-Jährige hebt zwei Hamelner ganz besonders hervor: Thomas Breitkopf und Michael Wömpener. Die beiden Interhelp-Mitglieder haben das Rettungsmobil „Interhelp mfs International“, das die Landesfarben der Ukraine trägt, von Hameln nach Irpin gebracht und das medizinische Personal der Klinik eingewiesen. „Diese beiden jungen Männer sind meine Helden“, sagt Alexander zu Schaumburg-Lippe lächelnd in die Kameras. Die Reise in das von radioaktiver Strahlung und blutigen Kämpfen gebeutelte Land war in der Tat strapaziös und abenteuerlich: Nach 15-ständiger Fahrt folgte ein sechsstündiger Aufenthalt an der polnisch-ukrainischen Grenze. Nachts musste Papierkram erledigt werden. Erst nach 21 Stunden war dann endlich eine Mütze voll Schlaf drin, dann folgte ein starker Kaffee – und weiter ging’s. 4,5 Stunden später endlich die Ankunft in Irpin. 1650 Kilometer. Der 163-PS-starke Sprinter, der je zur Hälfte mit Spenden aus Hameln und Frankfurt finanziert wurde, war schon sehnsüchtig in der Zone 4 der radioaktiv verstrahlten Tschernobyl-Region erwartet worden. Irpin liegt nur 80 Kilometer Luftlinie vom Katastrophenreaktor entfernt.


In der von einem blutigen Krieg zerrissenen Ukraine schöpfen Menschen etwas Hoffnung. Aber viele sind skeptisch. Wie es weitergeht? Schulterzucken. Niemand wagt eine Prognose. „Aber immerhin können wir uns dank der Hilfe aus Deutschland jetzt selber retten“, sagt Nadia Filimonova, die Vorsitzende der Stiftung „Gute Taten“, mit der Interhelp und mfs International schon seit anderthalb Jahren bei der Flüchtlingshilfe in Irpin eng zusammenarbeiten. „Das ist jedenfalls ein Geschenk, das Leben rettet.“ Den Spendern aus Deutschland sei man sehr dankbar.
„Ohne Nadia hätten wir nicht so effektiv und nachhaltig Hilfe für Kriegsvertriebene leisten können“, betont Interhelp-Vorsitzender Behmann. Kinder, wie Brandopfer Alexej (6), konnten dank der Spenden aus Hameln und Bückeburg behandelt werden, Flüchtlinge rechtzeitig vor dem eisigen Winter (minus 27 Grad Celsius) mit neuer Kleidung im Wert von mehreren Hunderttausend Euro ausgestattet werden.
Unglaublich: Nur ein paar Hundert Kilometer entfernt von Irpin sterben immer noch Menschen bei Kämpfen. Der Blutzoll ist hoch: Es gibt bereits viele Tausend Tote.
Unglaublich auch: Der Rettungswagen aus Hameln ist der erste und einzige in einer Stadt mit inzwischen 80000 Einwohnern. In der Region Irpin gibt es zwar einen alten staatlichen Krankenwagen, aber der sei für zwei Landkreise zuständig, häufig unterwegs gewesen und manchmal erst nach einer Stunde gekommen – oder gar nicht, erzählt Nadia Filimonova. 10000 Flüchtlinge leben nach Angaben der Stadtverwaltung in der 120000-Einwohner-Region Irpin.
Für die Ukraine-Fahrer aus Hameln war es eine Fahrt in eine andere Welt. „Gefühlt gab es in der Ukraine nur zwei Seiten: rechts oder links, heile oder kaputt, arm oder reich“, fasst Michael Wömpener seine Eindrücke zusammen. „Das, was wir hier gesehen haben, sollten einmal alle Menschen in Deutschland erleben, um zu erfahren, wie gut es uns eigentlich geht.“ Die Rettungsassistenten, im Hauptberuf Feuerwehrleute der Stadt Hameln, freuen sich, dass sie die Spenden aus Hameln selbst vor Ort abgeben konnten. „Direkter kann man nicht helfen, als von Mensch zu Mensch“, meint Thomas Breitkopf. Es erfülle ihn mit Stolz, Teil dieser Hilfsmission gewesen zu sein, sagt der zweifache Vater.
Michael Görbing, Chef des langjährigen Interhelp-Partners „mfs International“ aus Frankfurt, dessen Hilfsorganisation die Hälfte der Gesamtkosten übernommen hatte, kündigte an, auch er werde in Kürze einen Ausbilder nach Irpin schicken. Der Rettungsassistent soll die Notärzte und Pflegekräfte auf ihren ersten Fahrten begleiten und den richtigen Einsatz der modernen Notfallgeräte überwachen.
Wer die Helfer finanziell unterstützen möchte, kann Geld auf folgende Konten überweisen oder Fördermitglied werden:
IBAN: DE 60 2545 0110 0000 0203 13 – Sparkasse Weserbergland
IBAN: DE 49 2546 2160 0700 7000 00 – Volksbank Hameln-Stadthagen
www.interhelp.info