28.07.2016

Mit der roten Emma ans Schwarze Meer

Kavarna/Hameln. In 48 Stunden durch sechs Länder – die Hamelner Thomas Breitkopf und Michael Wömpener haben im Auftrag der heimischen Hilfsorganisation Interhelp einen komplett ausgerüsteten Notarztwagen der Feuerwehr Hameln nach Bulgarien gefahren. Der leuchtend rote Mercedes-Rettungswagen der Stadt Hameln war vor Kurzem außer Dienst gestellt und von Interhelp gekauft worden. Er ist in einem top Zustand und mit zahlreichen medizinischen Geräten, darunter EKG- und Wiederbelebungsgerät (Defibrillator), Sauerstoff-Anlage, Absaugpumpe, Blutdruck- und Sauerstoffmessgeräte, Arm- und Beinschienen, aber auch mit zahlreichen Notfall-Medikamenten ausgestattet. „Florian Hameln 1-83-3“, so der Funkrufname, war zuletzt als Schulungsfahrzeug genutzt worden – obwohl der Wagen in Hameln schon zu mehr als 30000 Einsätzen gestartet ist, hat er nur 129000 Kilometer auf dem Tacho.
Der Notruf aus der Schwarzmeerstadt Kavarna war im Juni bei Interhelp eingegangen. Der Ärztliche Direktor des Krankenhauses von Kavarna, Dr. Desislav Taskov, bat die Hamelner Hilfsorganisation um dringende Unterstützung beim Notfalltransport von Schwerkranken und Trauma-Patienten. Der einzige fahrbereite Krankenwagen, ein ehemaliges Fahrzeug der Feuerwehr Dorsten, sei mehr als 30 Jahre alt und ziemlich kaputt. Der zum Teil mit Klebeband geflickte Kombi hat abgefahrene Reifen und einen defekten Motor. Er wird immer dann eingesetzt, wenn der einzige Rettungswagen d

er staatlichen Schnellen Medizinischen Hilfe unterwegs ist. Und das komme in der 15000-Einwohner-Stadt, zu der 20 Dörfer auf einer Fläche von 482 Quadratkilometern gehören, nicht gerade selten vor, erzählt der Chirurg, Urologe und Onkologe. Das alte Auto fahre allerdings inzwischen nicht mehr schneller als 60 Stundenkilometer. Das führe häufig zu Zeitverlusten, bringe kranke oder verletzte Patienten in ernste Gefahr – gerade dann, wenn es auf jede Minute ankomme. Ohnehin gibt es im bulgarisch-rumänischen Grenzgebiet nicht genug Rettungsfahrzeuge: Sind beide Wagen im Einsatz, ist Warten und Hoffen angesagt. Immer öfter muss das Krankenhaus zudem Schwerverletzte in andere Kliniken, die etwa 60 Kilometer entfernt liegen, verlegen. Im Krankenhaus von Kavarna gibt es zwar Chirurgen und Kardiologen, aber keinen Anästhesisten (Narkosearzt). Wird der staatliche Rettungsdienst zu einem Notfall gerufen, ist der Wagen nicht selten ein bis zwei Stunden im Einsatz. Dann müssen die Ärzte des Krankenhauses aushelfen. „Die Notlage, in der sich die städtische Klinik befindet, ist uns seit vielen Jahren bekannt und bedurfte eigentlich keiner erneuten Prüfung“, sagt Interhelp-Vorsitzender Ulrich Behmann, der sich zurzeit auf eigene Kosten in dem ärmsten Land der Europäischen Union aufhält. Dennoch habe er sich vor Ort noch einmal von der schwierigen Situation überzeugt, berichtet der ehrenamtliche Helfer. Innerhalb weniger Tage bereiteten Behmann und sein Stellvertreter Reinhold Klostermann in Bulgarien und in Deutschland alles für die Überführungsfahrt vor. Die Stadt Hameln unterstützte die humanitäre Aktion, wo es nur ging. Bereits im Jahr 2007 war ein Rettungswagen der Feuerwehr Hameln von der Aktion „Kinder in Not“ nach Kavarna gebracht worden. Später brachten Helfer des DRK-Kreisverbandes Hameln-Pyrmont auch gespendete Krankenhausbetten in die Kleinstadt.

Der neue Rettungswagen aus Hameln werde auch in der Nachbarstadt Shabla (5000 Einwohner) eingesetzt, sagt die Ärztin und Präsidentin des Gemeinderates, Dr. Jordanka Stoeva. Dort muss der gesamte Krankentransport und Sanitätsdienst mit einem inzwischen in die Jahre gekommenen Rettungswagen, der vor einigen Jahren vom Rotary Club Bad Pyrmont angeschafft wurde, abgewickelt werden.
Für Brandamtmann Thomas Breitkopf und Hauptbrandmeister Michael Wömpener war die Überführung des fünf Tonnen schweren Rettungswagens ein „unvergessliches Abenteuer“. Die mehr als 2200 Kilometer lange Route führte die beiden Interhelp-Mitglieder durch Deutschland, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Rumänien bis nach Bulgarien. Der Hamelner Rotarier Jochen Bruns, der gemeinsam mit Freunden zwei Transporter nach Bulgarien gefahren hatte, habe dem Duo zuvor wertvolle Reisetipps gegeben, erzählt Behmann.  „Emma“, wie die beiden Helfer den roten Retter getauft haben, meisterte die Strecke, die auch quer durch die Karpaten in Transsilvanien führte, „ohne zu mucken“. An der rumänisch-bulgarischen Grenze wurden Breitkopf und Wömpener von Claudia und Ulrich Behmann empfangen und zum Ziel gelotst. Der Tripp sei wahnsinnig interessant, aber auch sehr strapaziös gewesen, sagte Breitkopf nach seiner Ankunft. „Wir wünschen uns jetzt nur noch eine Massage und eine Mütze voll Schlaf.“ Doch zum Ausruhen kamen die Hamelner nicht: Die Interhelp-Helfer besuchten während ihres Kurzaufenthalts die Feuerwachen in Shabla und Kavarna und besichtigten das Krankenhaus. Auf der Kinderstation wurden Kuscheltiere, die von Hamelnern gespendet worden waren, an kranke Kinder verteilt. Rollatoren, Toilettenstühle und Gehhilfen, die Interhelp und die Haiti-Hilfe „Manmie Doune“ gesammelt hatten, gingen an das von Interhelp mitfinanzierte Rehabilitationszentum in Shabla. Vor der feierlichen Übergabe des Fahrzeugs wurden Ärzte und Sanitäter intensiv in die Medizin- und Fahrzeugtechnik eingewiesen. Im Beisein eines TV-Teams und von Zeitungsreportern wurde „Emma“ schließlich offiziell an Bürgermeisterin Nina Stavreva und Chefarzt Dr. Desislav Taskov übergeben. Bürgermeisterin und Klinik-Chef zeigten große Dankbarkeit. „Dieses Auto wird Leben retten“, sagte das Stadtoberhaupt. „Unser Dank geht an alle Spender in Deutschland.“
Dann hieß es Abschied sagen. Ein bisschen Wehmut sei schon dabei gewesen, sagte Rettungsassistent Thomas Breitkopf bei der Schlüsselübergabe. Mit einem Kuss auf die Motorhaube verabschiedete sich der Feuerwehrmann von einem Fahrzeug, mit dem er einen seiner ersten Rettungseinsätze bei der Hauptamtlichen Wachbereitschaft gefahren hatte.

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Bildtext: Ein Notarztwagen für Bulgarien: Die Hamelner Interhelper Thomas Breitkopf (l.) Michael Wömpener (r.) und Ulrich Behmann führen Bürgermeisterin Nina Stavreva (blaues Kleid), Ärzten und Sanitätern die Funktionen der Medizingeräte des Fahrzeugs vor.  Foto: Interhelp