02.05.2015
Brandopfer Alexej (6) benötigt dringend eine Operation / Wenn Anastasia ein Flugzeug hört, zuckt sie zusammen / Kinder sind traumatisiert
Von Alexander zu Schaumburg-Lippe (Ukraine)
Mehr als 6000 Tote, etwa zwei Millionen Menschen, die ihre Heimat verloren haben, fünf Millionen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind: Der Konflikt im Osten der Ukraine hat Wunden aufgerissen. Und er fordert einen hohen Blutzoll – mitten in Europa. Fast täglich gibt es Tote. Die Hamelner Hilfsorganisation Interhelp ist um humanitäre Hilfe gebeten worden. Gemeinsam mit ihrer Partnerorganisation mfs International aus Frankfurt wollen die Ehrenamtlichen aus dem Weserbergland Geld- und Sachspenden sammeln, um die Not am Dnepr ein wenig zu lindern.
Worsel. Es gibt keinen Strom, es riecht nach Chlor. Von den Wänden blättert blassblaue Farbe ab, an der Decke wuchert schwarzer Schimmel. Der enge Flur im Sanatorium liegt im Dunkeln. Aber am Ende des fensterlosen furchteinflößenden Gangs ist Licht zu sehen. Licht am Ende eines Tunnels? Wohl kaum. Draußen scheint die Sonne, ein paar Strahlen haben sich in das halb verfallene Gebäude verirrt. Im frühen 20. Jahrhundert wurde die 5800-Einwohner-Stadt Worsel als Ferienanlage gegründet. Heute haben Menschen in Sanatorien und ehemaligen Krankenhäusern Zuflucht gefunden, die vor den blutigen Kämpfen in Donezk und Lugansk geflohen sind. Die letzten kamen im Februar hierher – sie sind dem Kessel von Debalzewo entkommen. Nun sind sie in Sicherheit, aber ohne Perspektive. Die meisten haben alles verloren: Haus, Garten, Arbeit – manche auch Verwandte und Freunde. Im Osten der Ukraine wird weiter gestorben. Der Waffenstillstand ist brüchig. Granaten explodieren, Schüsse fallen.
Aber davon bekommt Alexej nichts mehr mit. Der sechsjährige Junge aus Donezk hat starke Schmerzen. Sein rechter Arm ist verbrannt. Er braucht medizinische Hilfe, aber dafür ist kein Geld da. Das wenige, das Vater Alexander (46) als Arbeiter und Mutter Ilena (44) als Helferin in einem Warenhaus verdienen, reicht gerade für das neun Quadratmeter große Zimmer im Flüchtlingsheim, ein bisschen Brot und Gemüse. Wäre da nicht noch Omas schmale Rente, wüssten die Flüchtlinge nicht mehr ein noch aus. Umgerechnet etwa 80 Euro bleiben zum Leben. Aber anderen geht es noch schlechter: Sie müssen hungern, wenn nicht jemand vorbeikommt und ihnen etwas zum Essen bringt.
Der kleine Alexej ist traurig. Er vermisst seinen Papa. Seit Juli 2014 hat er ihn nicht mehr gesehen. Vater Alexander ist in Donezk geblieben. „Er bewacht das Haus“, erzählt die Mutter.
Die Behandlung der großen Brandwunde verschlingt viel Geld. Die Medikamente sind unerschwinglich für die Mutter. Ein Verbandwechsel kostet 3 Euro. Ilena Marihodova hat Tränen in den Augen. Sie sorgt sich um ihren einzigen Sohn. 20 Jahre habe es gedauert, bis sie schwanger geworden sei, erzählt sie. Wenn der Junge seinen verletzten Arm anfasst und Aua ruf, tut das auch seiner Mutter weh. Nur das Nötigste bekomme man in den Krankenhäusern. Wer nicht bezahlen kann, muss leiden.
Zufällig hat Frau Marihodova Dr. Burkhard Kirchhoff in Worsel getroffen und ihn angesprochen. Das Interhelp-Mitglied aus Coppenbrügge ist gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Hamelner Hilfsorganisation, Ulrich Behmann, mfs-Chef Michael Görbing und mir als Vorstandsmitglied und Schirmherr in das Krisenland Ukraine gereist, um dort Menschen in Not zu helfen. Was die Operation, die der kleine Junge so dringend benötigt, kostet, vermag im Moment niemand genau zu sagen. Die deutsche Delegation, ist noch bemüht, das herauszufinden. Etwa 1000 Euro werden wohl benötigt. Im Fall Alexej arbeitet Interhelp eng mit einer Freiwilligen-Organisation aus Irpin zusammen. „Wir sind dankbar für jede Hilfe“, sagt Nadja Filimonova. Gebrauchte Kleidung, Spielzeug, Kuscheltiere, Medikamente, Nahrungsmittel und Wasser – es fehlt an allem. Die Ehrenamtlichen der „Freiwilligen Räte“ versorgen Kriegsflüchtlinge und Menschen, die in ihrer zerschossenen Heimat zwischen Trümmern ausharren. Schon 52-mal haben sie die 700 Kilometer lange Fahrt nach Donesk gewagt, mit einem klapprigen Lieferwagen Hilfsgüter im die Dörfer gebracht.
Buchhalterin Helena (38) ist selbst geflohen vor dem Grauen in ihrer Heimat. Von Komsomolska fuhr die vierköpfige Familie mit Sack und Pack zu Freunden auf die Krim. Aber da könnten sie auch nicht bleiben. Jetzt hocken sie – zusammengepfercht auf neun Quadratmetern – in einem Zimmer – und warten auf das, was kommt. Manch ein Häftling hat in Deutschland mehr Platz zur Verfügung. „Die Ungewissheit ist das Schlimmste“, sagt Helena. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht, wo wir später einmal leben werden.“ Wie alle hier in Worsel wünscht sich die 38-Jährige nur das Eine: „Mir“ – Frieden. Entsetzliche Bilder vom Krieg haben sich eingebrannt in den Kopf der Frau. „Es gab eine Explosion. Ein Mann ist dadurch auf eine Stromleitung geflogen und verbrannt“, erzählt sie. Vor allem die Kinder sind traumatisiert. So wie Anastasia. Die Zehnjährige hockt auf ihrem Bett im Flüchtlingsheim – still und stumm. Wenn sie ein Flugzeug hört, zuckt sie immer noch zusammen.
Ludmilla Iwanowa Pandasi kommt hinzu. Sie hat gehört, dass Interhelp den Flüchtlingen helfen will. Die 61-Jährige möchte sich bedanken. Ihr Mann Slava ist tot. Er war einer der Liquidatoren in Tschernobyl, einer von den Männern, die radioaktiven Schutt weggeräumt haben. Der Krebs hat ihn 19 Jahre lang aufgefressen. Der Konflikt im Osten der Ukraine sei nach der Reaktorkatastrophe nun schon die zweite Tragödie, sagt die Witwe. „Mir, Mir, Mir – das wünsche sie sich“, sagt die Frau. Dann fügt sie noch einen Satz hinzu, der wie ein leises Flehen klingt: „Bitte helfen Sie uns.“
Wer unsere Mission unterstützen möchte, findet unter www.interhelp.info Fördermitgliedsanträge und Spendenkonten.
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Sachspenden (gebrauchte, gut erhaltene Kleidung, Spielzeug, Kuscheltiere) werden vormittags im Mütterzentrum in Hameln, Feuergraben 14, entgegengenommen. Bitte Kartons packen.