21.11.2013
Schon mehr als 1000 Taifun-Opfer behandelt / US-Marines fliegen Schwerverletzten nach Manila / Von Hameln aus werden drei Missionen gleichzeitig gesteuert
Von Dr. Jörg Meckelburg (Tacloban),
Andreas Engelhardt (Iloilo) und
Claudia Behmann (Hameln)
Hameln/Tacloban. „Die Situation hier vor Ort ist noch viel schlimmer, als es die Bilder aus dem Fernsehen vermuten lassen“, sagt Interhelp-Arzt Dr. Jörg Meckelburg. Über ein Satelliten-Telefon nimmt der Unfallchirurg Kontakt mit dem Informations- und Lagezentrum der Deutschen Gesellschaft für internationale Hilfe (Interhelp) in Hameln aufgenommen. Die Verbindung ist trotz Hightech schlecht. Es rauscht, knackt und hallt. In der vom Taifin „Haiyan“ völlig zerstörten Stadt Sulangan bei Guinan auf der Insel Leyte gibt es auch fast zwei Wochen nachdem die Katastrophe über die Philippinen hereinbrach, weder Wasser noch Strom. Auch das Handy-Netz arbeitet nicht. Rettungsassistent Alexander Schmitz steht neben dem Chirurgen und schaut auf das, was der Todes-Sturm von dem Ort, an dem das fünfköpfige Interhelp-Rettungsteam seit Montag verletzten Menschen hilft, übrig gelassen hat. Es ist eine Trümmerwüste. In einer zerstörten Schule hat der Leiter der Interhelp-Task-Force, Reinhold Klostermann, einen Behandlungsplatz eingerichtet. Bis Mittwochabend wurden mehr als 1000 Einwohner, darunter sehr viele kleine Kinder, untersucht. Hunderte sind schwer verletzt, haben zu ersten Mal medizinische Hilfe bekommen. „Was wir hier zu sehen bekommen, ist schon heftig. Aber ich komme emotional damit klar“, sagt Rettungsassistent Alexander Schmitz. Interhelp sei das erste ausländische Rettungsteam, das in der entlegenen Region Verwundeten helfe, sagt Interhelp-Vorsitzender Ulrich Behmann. Tausende starben, als der Taifun mit voller Wucht über die Inseln hinwegfegte, Millionen sind immer noch auf Hilfe angewiesen. Viele wohl noch lange Zeit. „Der Tropensturm hat die Lebensgrundlage der Menschen, die hier von dem, was die Kokosnuss-Palmen, einbringen leben, vernichtet. Palmen gibt es hier so gut wie keine mehr“, sagt Dr. Meckelburg, der in Hameln als Ärztlicher Leiter „Rettungsdienst“ der Stadt tätig ist. Zehn, vielleicht 15 Jahre, werde es dauern, bis die Bauern wieder ernten könnten.
Gleich am ersten Tag hat das Team dafür gesorgt, dass ein Mann mit Lähmungserscheinungen sofort ausgeflogen wird. „Er wollte sein vom Sturm beschädigtes Dach reparieren und ist in die Tiefe gestürzt“, berichtet Dr. Meckelburg. Um eine drohende Querschnittlähmung zu verhindern, müsse er in einem Krankenhaus in Manila behandelt werden. US-Marines flogen den zuvor vom Interhelp-Notarztteam versorgten Patenten mit einem Seahawk-Rettungshubschrauber zum Flughafen Tacloban, von wo aus er mit einem Flugzeug in die Hauptstadt gebracht wurde. „Weil wir Kurzzeit-Narkosen machen können, haben wir bereits erste Operationen durchführen können“, berichtet der Chirurg, der extra seine Praxis in Bad Pyrmont geschlossen hat, um auf den Philippinen helfen zu können. Gestern behandelten die Helfer ein etwa zehn Monate altes Kind. Es hatte schwere Verbrennungen am Bauch, benötigte dringend Hilfe. Alexander Schmitz ist beeindruckt von der Freundlichkeit der Menschen, die auch in der Katastrophen-Situation ihre Würde und ihren Überlebenswillen nicht verloren haben. „Alle haben ein Lächeln im Gesicht, alle packen mit an“, sagt der 26-Jährige.
Das Interhelp-Team könne effektiv helfen, berichtet Team-Leiter Reinhold Klostermann. „Wir geben alles, sind erschöpft, aber glücklich über das, was wir für die Notleidenden tun können. Die Menschen hier sind froh, dass wir hier sind. Die Bürgermeisterin Babe Gajtos hat sofort Wasser zu uns bringen lassen.“ Untergebracht sind Dr. Jörg Meckelburg, Dr. Siegfried John, Alexander Schmitz, Jutta Heutger und Reinhold Klostermann in einem beschädigten Haus, die auch von der philippinischen Partnerorganisation genutzt wird. „Wir haben weder Wasser noch Strom, schlafen auf dem Fußboden“, sagt Klostermann. Nachts falle man ohnehin todmüde ins Bett.
Die philippinische Organisation „Stout“, mit der Interhelp im Katastrophengebiet eng zusammenarbeitet, leiste wirklich sehr professionelle Arbeit, lobt Dr. Meckelburg. „Die Kollegen haben erst einmal die Straßen freigeräumt, damit Hilfe diesen entlegenen Ort überhaupt erreichen kann.“ Das philippinisch-deutsche Helfer-Team habe noch jede Menge zu tun. Verletzte und Kranke stünden vor der Schule Schlange. 380 Familien, jede hat drei bis vier Kinder, wurde bislang geholfen. Wer nicht zum Behandlungsplatz kommen kann, wird in seinem Dorf behandelt. „Wir haben bereits den ersten Außeneinsatz gefahren“, sagt Lehrrettungsassistent Klostermann.
Die Regierung der Philippinen hat Interhelp gestern gebeten, auf einer nördlich gelegenen Inselgruppe zu helfen. „Wir sollen Patienten, die schwere Verletzungen erlitten haben, behandeln“, sagt Klostermann.
Interhelp steuere von Hameln aus drei Hilfsoperationen auf mehreren Inseln gleichzeitig, berichtet Vorsitzender Ulrich Behmann. Gemeinsam mit der Ateneo de Davao Universität und dem Mindanao Tourism Council starte Interhelp eine Mission zur Behandlung von Menschen, die psychologische Hilfe benötigen. Sie stehen unter Schock, haben alles verloren, und sehen keine Zukunftsperspektive mehr. Neun Psychologen werden versuchen, ihnen wieder Hoffnung zu geben. Das psychosoziale deutsch-philippinische Projekt trägt den Namen „We love you“. Es startet am Freitag.
Der Hamelner Interhelper Andreas Engelhardt hat sich inzwischen mit einem Pickup und kleinen Booten auf eigene Kosten bis nach Iloilo durchgeschlagen und bis gestern mehr als vier Tonnen Lebensmittel an Hungernde und Durstende verteilt. „Wir hatten stürmische See und hohen Wellengang, saßen in einer Nussschale. Das war ein Horrortrip. Alle Knochen tun mir weh“, sagt der 54-Jährige. Aber die Strapazen hätten sich gelohnt. „Ohne uns wären die Menschen immer noch ohne Hilfe.“ Engelhardt wurde von einem medizinischen Team aus Singapur begleitet.
Interhelp ist auf Spenden angewiesen, um weiter hungernde Taifun-Opfer mit Lebensmitteln versorgen zu können. Spendenkonten:
Konto-Nr. 33233 – Stadtsparkasse Hameln (BLZ 254 500 01),
Konto-Nr. 700 700 000 – Volksbank Hameln-Stadthagen
(BLZ 254 621 60), Konto-Nr. 20313 – Sparkasse Weserbergland (BLZ 254 501 10)
KONTAKT: 0176/102246141
claudiabehmann@aol.com
Bildtexte:
Das Interhelp-Team Dr. Siegfried John, Jutta Heutger und Reinhold Klostermann behandeln einen 72 Jahre alten Mann in einem Zelt.
Ankunft in Tacloban: Auch der Flughafen ist zerstört. Reinhold Klostermann, Jutta Heutger und Alexander Schmitz bringen die medizinischen Hilfsgüter aus Hameln zum Behandlungsplatz.
Allein in stürmischer See: Der Hamelner Andreas Engelhardt verteilt Nahrungsmittel auf entlegenen Inseln. Fotos: Interhelp
Einsatzgebiet von oben – alles ist zerstört.
Interhelp im Einsatz: In der zerstörten Schule von Sulangan behandelt Dr. Jörg Meckelburg ein Kind, das bei dem Taifun schwere Verbrennungen erlitten hat.