10.10.2014

Niemand soll erfahren, „dass wir in Deutschland auf Hilfe angewiesen sind“

Rohrsen. Sie sind dankbar, dass sich jemand um sie kümmert. Dass jemand da ist, der ihnen die Hand reicht, der sie behandelt. Ohne Fragen zu stellen. Ohne nach der Krankenversicherungskarte zu fragen. Und so sind sie am Mittwochabend zu Dutzenden Hilfe suchend ins „Kuckucksnest“ gekommen: Zuwanderer aus Rumänien, zumeist Angehörige der Roma-Minderheit. Zum dritten Mal in diesem Jahr hat die Hamelner Hilfsorganisation Interhelp mit Unterstützung des Vereins SAM in den Räumen des Stadtteilprojekts eine Sprechstunde für Neubürger durchgeführt. In Abstimmung mit der Stadt Hameln und dem Landkreis Hameln-Pyrmont. Zehn Ehrenamtliche, darunter vier Ärzte, und fünf Dolmetscher waren mehrere Stunden im Einsatz. 42 Kinder und 31 Erwachsene ließen sich behandeln. Etwa ein Drittel weniger als bei den beiden vorangegangenen Aktionen im Januar und im Juli. „Vielleicht“, sagt Birgit Albrecht, 2. Vorsitzende von SAM, „liegt es ja daran, dass Interhelp mit den letzten Sprechstunden schon viel bewegt hat und deshalb heute weniger Bewohner krank sind.“ Womöglich wollten einige Zuwanderer aber auch nicht gefilmt zu werden. Erstmals hatte ein Fernsehteam die ehrenamtlichen Helfer bei der „Mission der Menschlichkeit“ begleitet. „Unsere Verwandten in Rumänien sollen nicht erfahren, dass wir in Deutschland auf Hilfe angewiesen sind“, erklärt eine 42-jährige Rumänin, die vor Kurzem nach Rohrsen gezogen ist.
„Unsere Patienten waren zwischen vier Monate und 73 Jahre alt“, sagt der Leiter der Medical Task Force, Reinhold Klostermann. Neben Husten, Schnupfen und Heiserkeit hätten die Teams auch schlimmere Erkrankungen behandeln müssen. „Lungenentzündungen, Durchfallerkrankungen, Bluthochdruck, Kreislaufprobleme, aber auch ein Verdacht auf Läusebefall gab’s“, sagt der Lehrrettungsassistent. Eine besonders häufig gestellte Diagnose: Karies. Der Hamelner Zahnarzt, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg Dr. Klaus-Peter Seifert musste in viele Münder schauen. Machen konnte er zwar vor Ort nicht viel. „Aber darum ging es auch nicht“, erklärt Interhelp-Sprecherin Claudia Behmann, die eifrig gespendete Kinderzahnbürsten verteilte. „Wir wollen den meist kleinen Patienten den Weg zum Zahnarzt weisen und Sie mit Hygienemaßnahmen vertraut machen.“ Wer später in die Seiferts Praxis komme, werde behandelt – ob mit oder ohne Versichertenkarte.
„Diese medizinischen Einsätze sind sehr wichtig für die Menschen, die zu uns gekommen sind“, sagt die Grundschulleiterin Birgit Albrecht. „Ich glaube, niemand, der heute Abend bei Interhelp Hilfe gesucht hat, ist krankenversichert.“
Die nächste Sprechstunde findet am 10. Dezember im „Kuckucksnest“ statt.

Link zu SAT1:

http://www.hannover.sat1regional.de/aktuell/article/mission-der-menschlichkeit-ehrenamtliche-aerzte-behandeln-migranten-156720.html

Foto:
Interhelp-Einsatz am Kuckuck in Rohrsen: Kinderarzt Dr. Jürgen Schwalbe behandelt einen kranken Jungen aus Rumänien. Foto: interhelp.info